Deutschland will ein modernes Einwanderungsland sein? Dann braucht es klare Regeln
Deutschland ist ein Rechtsstaat. In der Migrationspolitik muss mit noch mehr Mut und Konsequenz auf unsere Rechtsstaatlichkeit gesetzt werden: Klarheit und Ordnung, Recht und Gesetz sind konsequent anzuwenden – und bürokratische Hürden zu beseitigen. Der Rechtsstaat ist das „Geländer“ in der Migrationspolitik, nicht die Forderung von Unmöglichem, nicht das xenophobe Ressentiment, aber auch nicht das migrationspolitische Idyll. Der Rechtsstaat beschreibt Verfahrens- und natürlich Menschenrechte von Migranten, aber insbesondere auch Einreiserechte und Ausreisepflichten.
Aktuelle Positionierungen in der Migrationspolitik, wie die Schleifung des individuellen Asylanspruchs oder die faktisch nicht zu realisierende „Obergrenze“, sind auch angesichts fataler Fehlentscheidungen der Vergangenheit eher als politische Nebelkerze zu bewerten als ein ernst zu nehmender Debattenbeitrag.
In den vergangenen Jahren war es einfacher, auf irregulären Wegen als Wirtschaftsmigrant in unser Land zu kommen, als legal in unseren Arbeitsmarkt einzuwandern. Jede und jeder, der bei uns etwas leisten und erreichen will, soll gerne und schnell in unseren Arbeitsmarkt einwandern können. Auf der anderen Seite muss klar sein, dass für Menschen, bei denen kein individueller Schutzgrund vorliegt, der Pfad der Fluchtmigration keine Option ist. Ein modernes Einwanderungsland zeichnet sich durch klare Spielregeln aus.
Alle Menschen, die in unserem Land leben, müssen unsere offene und freiheitliche Gesellschaft und unser Grundgesetz respektieren. Hier muss Deutschland klare und harte Kante zeigen gegen Extremisten und Delegitimierer aller Couleur. Die individuelle Freiheit jedes Einzelnen ist unser höchstes Verfassungsgut und das müssen wir auch in Zukunft bewahren. Wer unsere grundgesetzlichen Werte anerkennt, unsere Sprache spricht, in der Gesellschaft integriert ist und wirtschaftlich für sich selbst sorgen kann, der muss die Möglichkeit haben, deutscher Staatsbürger zu werden.
Die Leistung von Migrantinnen und Migranten spielten und spielen für den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands eine zentrale Rolle. Schon allein deshalb müssen wir die Lebensleistung und den gesellschaftlichen Beitrag vieler Migrantinnen und Migranten in unserem Land mehr wertschätzen. Das kann gerade in der aktuellen Debatte nicht oft genug gesagt und betont werden. Zu wenig und zu wenig positiv wird in der Debatte über die wichtige Rolle von Migranten in unserem Land gesprochen. Neben Abgabenlast, Wohnraum, Digitalisierungsstand spielt das gesellschaftliche Klima eine entscheidende Rolle bei der Einwanderungsentscheidung.
Deutschland braucht aber auch nicht das „Weiter so“ der hochgradig ambivalenten Migrationspolitik der vergangenen zehn bis 15 Jahre. Der Paradigmenwechsel ist mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz geschafft. Jetzt braucht es weitere Maßnahmen, um die Migrationspolitik im Ganzen sinnvoll zu regeln.
Schlüsselfaktoren für ein erfolgreiches Asylsystem
Wir brauchen in Deutschland eine nüchterne, sachliche Betrachtung der Lage. Dazu braucht es vor allem eine konsequente Beschäftigung mit den Migrationszahlen. So standen die Anerkennungsraten europaweit gemäß der Europäischen Asylagentur zuletzt bei 42 Prozent. Im Umkehrschluss heißt dies, dass mehr als die Hälfte der Migranten ohne individuellen oder subsidiären Schutzgrund in die EU gekommen sind und in unseren Prozessen feststecken. Das muss sich ändern.
Es braucht außerdem eine konsequente Kontrolle an den EU-Außengrenzen. Nationale Alleingänge ergeben keinen Sinn. Die in der Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems grundsätzlich geeinten Grenzverfahren sind ein sehr gutes Mittel, um Menschen aus Ländern mit sehr geringen Anerkennungsquoten Verfahrensrechte zu geben, bevor sie überhaupt weiterreisen. Die Frage sollte nicht sein, ob wir Grenzverfahren brauchen, sondern wie wir diese rechtsstaats- und menschenrechtskonform ausgestalten.
Weiter ist eine konsequente Angleichung der Sozialleistungen in der EU notwendig. Damit Sekundärmigration innerhalb der EU verringert wird, führt daran kein Weg vorbei. Dies wird wegen verfassungsrechtlicher Grenzen allerdings ein besonders konfliktbeladener Prozess sein.
Auch ohne die konsequente Umsetzung von Rückführungen wird es nicht gehen. Diese sind das Mittel des Rechtsstaates, um vollziehbar Ausreisepflichtige, die das Land nicht freiwillig verlassen, zurück in ihr Herkunftsland zu verbringen. Dies scheitert viel zu oft. Für Abschiebungen sind die Bundesländer zuständig. Hier sind einheitliche Standards bei der Verfügbarkeit von Ausreisegewahrsamsplätzen notwendig. Beispielsweise hat Baden-Württemberg Stand Februar 2023 keine einsatzfähigen Ausreisegewahrsamsplätze. In diesem Zusammenhang sollten wir beispielsweise auch – sachlich – über Rückführungen nach Afghanistan sprechen, denn nicht alle Menschen sind dort gleichermaßen verfolgt und gefährdet.
Wir müssen letztlich mehr Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt ermöglichen, irreguläre Migration und Sekundärmigration vor allem mit einer konsequenten Verhandlungsführung auf EU-Ebene reduzieren und kanalisieren, die Bundesländer bei den Abschiebungen in die Pflicht nehmen – sowie eine sachliche Debatte führen.
Der Gastbeitrag wurde im August in der WELT veröffentlicht.